Verhältnis zwischen Bruder und Schwester
Der Bruder ist der Schwester Knecht,
Drum gehts dem Bruder immer schlecht.
Die Schwester möchte immer ruhn,
Drum muss der Bruder alles tun.
Die Schwester legt sich hin und ruht
Derweil der Bruder die Arbeit tut.
Die Schwester soll zum Ofen sehn,
Sie sagt: „Da kann der Bruder gehn.“
Die Schwester liegt am Morgen lang:
„Der Bruder tut für mich den Gang.“
Die Schwester will zum Tanze gehn:
„Der Bruder kann zu Hause sehn.“
Die Schwester spielt die Orgel fein,
Der Bruder muss der Treter sein.
Die Schwester möchte ein Gedicht;
Der Bruder, der versagt es nicht.
Zwei Dinge der Bruder niemals tut;
Denn dazu ist er niemals gut.
Kommt in die Küche er hinein,
Gleich hört man da die Schwester schrein:
„Hinaus zur Küche packe dich,
Das Kochen schickt sich nur für mich.“
Beim zweiten – das muss man gestehn –
Lässt sich der Bruder niemals sehn.
Die Schwester flickt die Hosen sein,
Das lässt der Bruder weislich sein.
Drum – wenn er klagt die Schwester an,
Dass alles er für sie getan –
So sagt sie nur: „Ich flicke Dir
Die Hosenlöcher auch dafür.“
Drum liebt der Bruder das Schwesterlein,
Sie umgekehrt das Brüderlein.
(aus der Zeit der frühen Gedichte, 1895−1904)