Eine Nacht
 
Am Büchertisch sass ich gedankenschwer,
Mir brannt’ der Kopf von dem, was man im Leben,
Wie man so sagt, einst nötig haben wird.
Ich sah der schrecklichen Chemie Gespenster
In langen Formelreihen aufgestellt,
Und Plato und Demosthenes beschwerten
Mein junges Leben mit antikem Kram.
Mit trübem Licht sah ich die Lampe brennen,
Die Flamme stieg; ich sahs mit offnem Aug,
Und sah es nicht. Sie zuckte höher,
Schon stieg der Rauch zur weissen Decke auf,
Ich sass noch still, mein Geist war in der Ferne.
Doch nicht bei Plato und Demosthenes.
Und statt der schrecklichen Chemie Gespenster,
Schaut jetzt ein kleines Mädchen aus dem Buch.
Zwei dunkle Augen sah ich freundlich nicken
Vom Lockenwald beschattet, träumerisch,
Den holden Mund mit roten Lippen schwellen.
Es war ein Bild voll Lieb’ und Heiterkeit.
Mein Auge hing gebannt an ihren Zügen.
Sie nickte und ich auch, dann fuhr ich auf,
Ein schwarzer Qualm durchflutete das Zimmer,
Der aufgeflammten Lampe Rauch
Ein rascher Griff, das Fenster aufgerissen,
Das Bild war weg.
 
(aus der Zeit der frühen Gedichte, 1895−1904)