Der Segenspruch
 
Sie war ein gutes Pfarrerskind
Behütet vor dem Wilden Brand
Der Leidenschaft, vor Sorg und Weh,
Trug sie des schönsten Glückes Pfand.
 
Und kaum der Jüngling zu ihr trat,
War rasch das Glückspfand eingelöst,
Und aller Hoffnung Überschwang
Ins frische Mädchenherz geflösst.
 
Da hat ein Traum in banger Nacht
Sie mit dem Schwermutsstab gerührt,
Ihr überquellend Liebesglück
Vor Gottes Richterthron geführt.
 
„Bringst du, sprach Gott, den Segen mit
Von einem, der in Lebenspein
Durchs öder Land der Tage schleicht,
Will ich dir selbst dein Glück verzeihn.“
 
Da liess der Morgen sie nicht ruhn.
Früh trat sie auf die tauige Flur,
Zu suchen durch die Frühlingswelt
Nach eines Unglückseligen Spur.
 
Bald trat ihr von des Berges Hang
Entgegen eine Gramgestalt.
„Bist du ein Mann voll Lebenspein?
Trieb dich das Unglück in den Wald?“
 
„Hier sass ich, seit die Sonne starb,
In Finsternis gebückt und sann,
Warum ein andrer in den Tod
Mich treibt, der meine Braut gewann.“
„Ach Armer! herbere Pein kann nie
Auf Erden sein, als solches Los!
Du musst mein junges Glück verzeihn,
Du sprichst von Gottes Zorn mich los.“
 
Da traf sie scharf ein böser Blick:
„Der Herrgott will dir nicht verzeihn?
Und ich, ums eigne Glück genarrt,
Soll besser als der Herrgott sein?“
 
Schnell aus dem dunkeln Aug geschreckt
fiel eine Träne auf den Stein,
Und weiter ging das gute Kind
Auf seiner Fahrt nach Menschenpein.
 
Hart stand am Weg ein ärmlich Haus.
Leis trat sie ein, fand hingestreckt
An schwarzer Wand ein sieches Weib,
Von schmutzigen Lumpen kaum bedeckt.
 
„O Frau, wie gab der strenge Gott
Zu tragen euch ein schweres Stück!
Um euren Segen bitt ich euch
Zu meinem jungen Liebesglück.“
 
„Kind, spricht das Weib, der Leiden Last
Macht reif zur grossen Ewigkeit.
Flieh Erdenlust! Flieh Erdenleib!
Kehr um, du bist vom Grab nicht weit!“
 
Scheu ging sie von dem strengen Bett
Der Kranken aus und härmte sich.
Wie Regen fiels auf Blum’ und Halm,
Als sie durch Wiesen heimwärts schlich.
 
Sieh da! Ein runzlig Knechtlein frisch
Im Acker auf die Schollen hieb,
Dem gestern all sein kleines Gut,
Sein einzig Hemd in Flammen blieb.
 
„Ach Alter! was Du hart verdient
In fünfzig Jahren, ist verbrannt.
Du gibst mir keinen Segenspruch,
Du fluchst der harten Gotteshand!“
 
„Ei, was ihr sagt! Bald bin ich tot.
Was brauch ich da noch Geld und Gut?!
So lang mir nicht der Karst entfällt,
Lass ich auch nicht vom Lebensmut.
 
Und alles, was auf Erden jung
Dem goldnen Licht entgegenzieht:
Glück zu! sag ich, und euch voran,
Weil Lieb euch aus den Augen sieht.
 
Mein Segen über euer Glück!“
Da fiel sie auf den Ackergrund
Zu Füssen ihm und zog sein Kleid,
Sein Kleid voll Kot an ihren Mund.
 
(1912)