20. Juli 1904
Wird die Muse mich beglücken
Euch ein holdes Lied zu singen,
Dass des armen Dichters Worte
Euch im Herzen wiederklingen?
Leihe deine goldnen Schwingen
Nur noch heute mir zum Flug,
Um das schönste zu besingen,
Dem ich je die Saiten schlug!
Wo in holdem Glück verbunden
Brust an Brust zwei Menschen ruhn,
Deren Herzen sich gefunden,
Lauscht der Dichter ihrem Tun.
Was die Liebesblicke fragen,
Meldet ihm ein Geisterlaut;
Ob er in der Ferne weilet,
Sieht er Bräutigam & Braut.
Zwei Vöglein sassen auf der Linde
Und flüsterten im Abendwinde.
Es war ein junges Liebespaar,
Die Federn glatt, die Äuglein klar.
Es küsste sich das junge Blut
In frohem Liebesübermut.
Und durch die Linde
Säuseln die Winde.
Sie flüstern sich wohl dies & das,
Und wie sie flüstern, regt sich was.
Da sass auch unterm Lindenbaume
Ein Paar in süssem Liebestraume.
Ein Herz war in den Stamm geschnitten,
Zwei Namen brannten in der Mitten.
Ein H & M in Eins verschlungen,
Von einem Pfeil das Herz durchdrungen.
Die drunten sassen lachten beide,
Und küssten sich in grosser Freude.
Und durch die Linde
Säuseln die Winde.
Das Factum, dass es so geschah,
Steht allen unbestritten da.
Und soll zum frohen Liebesleben
Der Dichter seinen Senf noch geben,
So lautet er: Seid froh & heiter,
Und küsset euch in Frieden weiter!
(aus der Zeit der frühen Gedichte, 1895−1904; Gedicht zur Verlobung der Schwester Marie mit Dr. Hans Siegrist, Stadtammann von Brugg.)