Paul Haller an die Mutter
Kirchberg, 6. Dezember 1906
Liebe Mutter!
Die Glocke hat schon zehn geschlagen & „meine Emma“ liegt wohl schon in süssem Schlummer. Meine Hochzeitsrede für morgen früh ist unter Dach gebracht & somit sind die Bedingungen zu einem guten Brief gegeben. Herzlichen Dank für die Kaffeesendung, die mich belustigt hat. Mit der gleichen Post ist nämlich von Basel ein Packet von 5 Pfd. rohem Kaffee angekommen, sodass wir nun auf lange hinaus versorgt sind. Für den Röstapparat bin ich natürlich dankbar, doch hoffe ich, er sei nicht zu gross für meine kleine Haushaltung.
Ich war sehr zufrieden, dass Du mir Marie geschickt hast & sie hat mir wirklich treulich geholfen. Es war sehr heimelig, sie da zu haben & ich glaube, sie hat sich auch wohl gefühlt. Ich bin ihr wirklich dankbar. Sie scheint Euch von meiner Donna eine abschreckende Schilderung gemacht zu haben & ich gesteh, dass ich grosse Zweifel habe, ob dies auf die Länge die rechte Person sei. Ich glaube, wenn ich sie vorher gesehen & gesprochen hätte, hätte ich sie nicht engagiert. Dies eine Wegleitung für ein allfälliges anderes Mal. Ich hatte mich auch über ihre bisherige Tätigkeit nicht genügend informiert. Sie war nämlich bis vor einem Jahr immer in Hôtels als Buffetdame, hat dann einen Kochkurs genommen & ist Haushälterin geworden. Von Erfahrung im Garten ist also keine Rede. Ihr Äusseres ist entsprechend ihrer bisherigen Laufbahn etwas fein, was Marie wohl zu grossen Eindruck gemacht hat. Sie macht natürlich alles, aber allerdings mit Bewegungen, die zeigen, dass sie noch nicht sehr lange daran gewöhnt ist. Ich habe auch bis jetzt den Eindruck, dass sie nicht vorwärts komme mit der Arbeit, was allerdings noch nicht eigentlich zu beurteilen ist. Ein Nachteil ist jedenfalls, dass sie wetterscheu ist; so ist sie schon im Wagen gekommen, was Euch Marie erzählt haben wird; der Weg nach Küttigen scheint ihr lang, kurz sie ist eben nur ans Haus gewöhnt. Sie kann nicht begreifen, wie ich in Sturm & Regen & Nacht nach Biberstein & Aarau gehen kann. Nun daran kann sie sich gewöhnen, doch scheint ihre Gesundheit eben etwas empfindlich zu sein. Sie hat den Vorzug, dass sie sehr reinlich & ordentlich zu sein scheint & gut kocht. Im persönlichen Verkehr ist sie bis jetzt auch noch ein wenig hôtelmässig, doch hoffe ich, das werde sich ändern. Sie hat jedenfalls etwas Mühe, sich zu gewöhnen, weil noch so vieles fehlt, an das sie sich gewöhnt ist; doch haben wir schon verschiedenes angeschafft. Kurz, man kann ihr in nichts einen Vorwurf machen, aber die richtige Person ist es nicht. Sie muss mir nun bald noch ein wenig umstechen, damit ich sehe, ob sie wirklich schon einen Spaten in Händen hatte; ich habe den Eindruck, dass sie so etwas „Salongärtnerin“ sei. Jedenfalls ist sie auch mit ansäen etc. nicht auf der Höhe. Frau Bolliger hat mir heute gesagt, Marie hätte ihr besser gefal[l]en; sie habe sich so gut mit ihr unterhalten beim Umstechen. Sie hat mir für das Mittagessen sage [und schreibe] 40 cts. verlangen wollen. Heute hat sie mir Tünne geschickt.
Am Sonntag war ich in Aarau am Konzert, wo ich Adolf traf. Wir haben zusammen zu nacht gegessen & den Abend verbracht. Am Montag war Pastoralverein. Vaters Auftrag an den Praesidenten (Leuthold) habe ich ausgerichtet.
In der Arbeit geht es mir im ganzen gut. Es ist eben doch anders, als wenn man nur vorübergehend an einem Ort ist. Auch habe ich hier etwas mehr Ruhe als in Neuenburg. Die Confirmanden fangen an zu zeigen, dass sie keine Engel, sondern Insassen sind. Eines der Mädchen ist leider krank geworden, vielleicht an Gehirnentzündung.
Willst Du mir schreiben, ob ich der Haushälterin Waschtüchlein geben soll, oder ob sie eigene haben muss. Ich denke, man gibt dies. Dann habe ich aber nicht zu viel. Die Herreise werde ich ihr wohl auch bezahlen? Ich sehne mich nach den Vorhängen, denn die Stube ist doch eigentlich noch sehr ungemütlich. Ich freue mich darauf, wieder jemanden von Euch bei mir zu sehen. Kommt Vater bald einmal?
Nun Schluss mit herzlichsten Grüssen
Paul.